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Premierenkritik – Kieler Nachrichten 14. Mai 2021
zur Uraufführung von „Dirk Schäfer – Hinter den Wölfen“ am 13. Mai am Theater Kiel.

Zu den Wölfen und hinter die Angst

Nach Projekten wie seinem Jacques Brel- oder dem Tango-Abend hat sich der Schauspieler und Sänger Dirk Schäfer im neuen Liederabend dem Wolf gewidmet. Und traf damit im Schauspielhaus den Nerv des restlos begeisterten Publikums.

Von Ruth Bender

Der von den Wölfen singt: Dirk Schäfer widmet dem Raubtier und den damit verbundenen Mythen einen Abend mit Lied und Text. Quelle: Christine Hielscher

Kiel. Klein und vorsichtig schweben sie ins Dunkel, verhaltene Klaviertöne, bis sich die vierköpfige Band auf der Bühne zusammenfindet und Dirk Schäfer loslegt, mit düster brütendem Bariton und dem neblig trauernden Randy-Newman-Song In Germany Before The War, in dem ein Mädchen spurlos verschwindet.

Zwischen Faszination und Furcht

So beginnt der dunkel schöne, mit großer Begeisterung aufgenommene Liederabend im Schauspielhaus, der vom sagenhaften Raubtier erzählt, wie es der Titel Hinter den Wölfen verspricht. Der zwischen Märchen und Mythen, Rotkäppchen und Hitlers Werwölfen vor allem aber die Ambivalenz aus Faszination und Furcht aufdröselt, die sich mit dem Tier seit Urzeiten verbindet. Ein assoziatives Spiel mit Spiegelungen und Projektionen zettelt der Schauspieler und Sänger mit Ellen Dorn als Co-Regisseurin an und setzt im neuen Bühnenprojekt erstmals hauptsächlich auf eigene Texte. Da geht es von der Liebe, die auf den Magen schlägt, zur Jagd auf die Bestie, die im 18. Jahrhundert in den südfranzösischen Cevennen blutiges Unwesen trieb. Oder es mischen sich Kindheitsgespenster in Aachen, wo der Großvater Bauprojekte für die Nazis umsetzte, mit einer kleinen Wolfskunde von Fressverhalten bis Sozialleben.

Von Sprechgesang bis Tango

Dazwischen blitzt auf, worum es eigentlich geht. Um das Fremde und Unzähmbare – und um das Unbehagen, die Angst davor. Das kommt mal beiläufig reimend im Sprechgesang daher, mal bissig melancholisch in den Fußstapfen von Erich Kästner, wie im Chanson Düsseldorf, das sich geschmeidig auf einen Tango von Astor Piazzolla legt. Natürlich fliegt Rotkäppchen ein, und dazu eine wunderbar wunderliche Kate-Bush-Wuthering Heights-Version mit Gothic-Aura. Lou Reeds Ballade Walk On The Wild Side rockt Schäfer mit satter Röhre, bevor alles wild vergnügt verklingt. Und unter der flüssigen Oberfläche taucht der Schauspieler manchmal in die tiefste Seelenschwärze, wenn er mit den Worten Georg Kreislers vom Hund Barry im Konzentrationslager Treblinka erzählt oder aus den Erinnerungen Martin Bormanns an einen Besuch im Hause Hitler rezitiert. Ein Marsch durchs Dunkel. Und ein gewagter Balanceakt zwischen den Ebenen, der erstaunlich gut funktioniert, wie auch das Unterschiedlichste hier zusammenfindet. Schäfer lässt Text feinfühlig in Gesang und Lieder in Text fließen, nachdenklich und auch mal verstiegen. In einem Wald aus Stahltrassen (Ausstattung: Tine Hielscher), der auch zum Versteckspielen taugt.

Getragen von vier fulminanten Musikern

Und über allem hüpft der Tango, der mit seiner melancholischen Energie den Abend treibt und trägt, als Dialogpartner fungiert, als Bindemittel oder Kulisse. Das ist auch dem fulminanten Quartett um Pianist Ferdinand von Seebach zu verdanken, der die Musik teils neu komponiert hat. Die vier grätschen mit kratzigen Dissonanzen in Kreislers ohnehin verstörenden Zirkus in Flammen; sie jazzen inspiriert voran und strömen untergründig mit. Wolfram Nerlich am Bass, Akkordeonist Vassily Dück und der junge Benjamin Günst, der als Einspringer für den erkrankten Ingo Hirsekorn die Geige zirpen, singen, weinen lässt. Das ergibt ein bewusst löchriges Puzzle, das keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Dafür aber zwischen den Bäumen den Blick frei macht auf den Wald hinter der Angst.

WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG (WAZ) zum Gastspiel beim
Festival Duisburger AKZENTE 2022

„Schwarzer Humor, geheimnisvolle Geschichten und [..] hohe Liedkunst [..] Dirk Schäfer als vielseitiger Sänger, der in verschiedenen Stimmlagen zu großer Form auflief [..] grandioses Quartett um Ferdinand von Seebach, der an diesem Abend vor allem Piazzollas Tango huldigte und süchtig machte“